Mönchengladbach setzt ein Zeichen für Erinnerungskultur und Demokratie.
Von RS-Redakteurin Sabrina Köhler und Inge Kroese
Mönchengladbach – Es war ein Abend, der tief bewegte, nachhallte und ein deutliches Zeichen setzte. Die Auftaktveranstaltung der Initiative Tacheles lockte am Freitagabend so viele Interessierte in das Messajero, dass kaum noch Platz blieb. Die Initiative, gegründet von Ira Lilith Jansen und ihren Eltern Ricarda und Frank Jansen, verfolgt das Ziel, die Erinnerung an die NS-Zeit in Mönchengladbach lebendig zu halten und daraus eine starke demokratische Haltung für die Gegenwart und Zukunft zu entwickeln.

Die Veranstaltung stand unter dem Motto „TACHELES. Namen ins Gedächtnis!“. Begrüßt wurden die Gäste von den Gründer:innen der Initiative, die ihr Anliegen unmissverständlich formulierten: Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus muss bewahrt werden. Den Auftakt machte Ricarda Jansen mit einem historischen Einblick in die einst florierenden jüdischen Geschäfte der Hindenburgstraße. In den 1930er Jahren gab es dort mehr als 40 jüdische Unternehmen – bis sie von den Nationalsozialisten entrechtet, enteignet und letztendlich ausgelöscht wurden.
Besonders beeindruckend war die Lesung eines von Ira Lilith Jansen verfassten Textes. Die junge Studentin, die mit einer Chromosomenstörung lebt, kommuniziert über eine Augensteuerung am Computer und zeigte mit ihren bewegenden Texten wie sehr sie sich für eine lebendige Erinnerungskultur einsetzt.

Wichtig und von Bedeutung war auch die Rede von Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs. Er betonte die Bedeutung von Gedenkarbeit und erinnerte an die bewegende Straßenbenennung zu Ehren der Holocaust-Überlebenden Hilde Sherman-Zander. Heinrichs schilderte eindrucksvoll seine persönlichen Erlebnisse an einer Gedenkstätte in Riga, an der zehntausende Menschen brutal ermordet wurden. Dort, so Heinrichs, zeige eine der Gedenktafeln ein Bild von Sherman-Zander, das sie kurz nach ihrer Befreiung mit einem erschöpften, aber triumphierenden Lächeln zeigt. Erinnerung ist eine demokratische Verpflichtung, so der Bürgermeister.
Hildegard Zander, später verheiratete Sherman, wurde in Wanlo geboren und wuchs in Wickrathberg auf. Um bei ihrem Verlobten Kurt Winter zu bleiben, meldete sie sich freiwillig zur Deportation ins Ghetto Riga, wohin das Paar nach ihrer Eheschließung am 6. Dezember 1941 verschleppt wurde. Kurt Winter verstarb 1942, während Hilde Sherman als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebte. Nach Stationen in verschiedenen Lagern wurde sie 1945 durch die Rettungsaktion der „Weißen Busse“ befreit. Sie emigrierte nach Kolumbien, wo sie ihren späteren Ehemann Willy Sherman wiedertraf und eine Familie gründete. In den 1970er Jahren kehrte sie als Zeugin in NS-Prozessen nach Deutschland zurück. Später zog sie nach Jerusalem, wo sie 1995 ihre letzten Jahre verbrachte.

Neben den inhaltlichen Beiträgen bot der Abend auch kulturelle und musikalische Akzente. Michalina Knull-Mausen und Oxana Kolts begeisterten mit einer bewegenden Darbietung des Soundtracks zu Schindlers Liste. Michael Grosse, Generalintendant des Theaters Krefeld/Mönchengladbach, las aus Hilde Sherman-Zanders Autobiografie „„Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto“ und verlieh ihren Erinnerungen eine eindringliche Präsenz.
Nach einer Pause mit musikalischer Begleitung stellte Tacheles seine künftigen Projekte vor. Im Fokus stehen dabei zwei zentrale Vorhaben: Zum einen die Rekonstruktion der Schicksale jüdischer Geschäfte in der Stadt, die gemeinsam mit Schulen und Künstler:innen aufgearbeitet und sichtbar gemacht werden sollen. Zum anderen der Aufbau einer akustischen Bibliothek, in der Zeitzeug:innen ihre Erinnerungen an die NS-Zeit in Mönchengladbach festhalten können. Hierzu sucht die Initiative Zeitzeug:innen, mindestens 85 Jahre alt, die sich erinnern an die Zeit zwischen 1933 und 1945 in Mönchengladbach und erzählen wollen. Den Abschluss des Abends bildete eine atmosphärische DJ-Session mit DJ ROKKA, bei der sich die Gäste weiter austauschen und vernetzen konnten.

Die Initiative Tacheles ist mehr als eine Organisation zur Erinnerung an die Vergangenheit. Sie versteht sich als aktiver Beitrag zur demokratischen Kultur der Stadt und als Einladung an alle Bürger:innen, sich einzubringen. Die Botschaft des Abends war klar: Nie wieder ist jetzt! Faschistische Tendenzen und das Vergessen dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.
Mit diesem ersten Abend hat Tacheles einen wichtigen Grundstein gelegt. Die Resonanz war überwältigend, und viele Besucher:innen erklärten sich bereit, sich in Zukunft aktiv einzubringen. Die Initiative wird in den kommenden Monaten weitere Veranstaltungen und Projekte vorstellen – und bleibt damit eine wachsame, lebendige Stimme für Erinnerung und Demokratie. (sk)
