Frauenhilfetelefon: „Informationen ebnen den Weg zu weiterer Unterstützung“

84 Prozent der bislang aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen sind Frauen. Sowohl im Zuge des Konflikts vor Ort als auch auf der Flucht, können sie vielfältigen Gewalterfahrungen ausgesetzt sein. Für Betroffene bietet das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ Beratung und Unterstützung an.

Deutschland/Ukraine – Die Leiterin des Hilfetelefons, Petra Söchting, erklärt im Interview, was dieses Angebot leisten kann und wo seine Grenzen liegen.

Frau Söchting, der Krieg in der Ukraine hat auch die Situation der ukrainischen Frauen drastisch verändert. Viele von ihnen sind in den vergangenen Wochen nach Deutschland geflohen. Wie hat sich die Nachfrage beim Hilfetelefon seitdem verändert? Nehmen Sie aktuell einen besonderen Bedarf bei geflüchteten Frauen aus der Ukraine wahr?

Petra Söchting: Bislang gibt es nur sehr wenige Einzelfälle, in denen Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, von geschlechtsspezifischen Gewalterfahrungen berichten. Das bedeutet allerdings nicht, dass es solche Gewalterfahrungen nicht gibt. Wir wissen, dass im Kontext der Flucht auch das Risiko für Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel wächst. Berichte über Menschenhändler an den Grenzen und an Bahnhöfen, die versuchen, das ohnehin große Leid ukrainischer Frauen skrupellos auszunutzen, häufen sich. Zudem ist davon auszugehen, dass Frauen und Mädchen im Kontext ihrer Flucht sexualisierte Gewalt erleben – in den Kriegs- und Krisengebieten, aber auch hier in den Unterkünften oder bei privaten Unterbringungen.

Darum ist es uns als Hilfetelefon ein großes Anliegen, unser Angebot auch bei aus der Ukraine einreisenden Frauen bekanntzumachen. Wir gehen allerdings davon aus, dass es noch dauern wird, bis hier beim Hilfetelefon vermehrt Anfragen von gewaltbetroffenen Frauen aus der Ukraine eingehen. Für sie stehen oft erst einmal andere Probleme im Vordergrund: Registrierung, Unterkunft, finanzielle Absicherung und medizinische Versorgung. Für all diese existentiellen Fragen müssen zuerst Lösungen gefunden werden, damit sich ansatzweise wieder so etwas wie ein Gefühl von Sicherheit einstellen kann. Anfangs ist es deshalb oft einfach nicht möglich, sich mit den traumatischen Erfahrungen im Kontext von Krieg und Flucht auseinanderzusetzen und diese zu verarbeiten.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät bundesweit unter der Nummer 08000 116 016 bei allen Fragen zu Gewalt an Frauen – rund um die Uhr, anonym, kostenfrei und neben Deutsch auch in 17 Fremdsprachen. Die Beraterinnen sind telefonisch und online über den Termin- und Sofort-Chat sowie per E-Mail auf www.hilfetelefon.de erreichbar. Angehörige, Bekannte und Fachkräfte können die Beratung ebenfalls nutzen, um Frauen in ihrem Umfeld zu unterstützen. Das Hilfetelefon wird vom Bundesfamilienministerium gefördert.

Welche Themen werden zurzeit besonders häufig angesprochen?

Söchting: Im Kontext des Ukrainekrieges erreichen uns vor allem Anfragen von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Diese Menschen melden sich, um Sachspenden anzubieten oder nach Unterkunftsmöglichkeiten zu fragen. Auch gehen Anfragen von Menschen ein, die besorgt sind, weil sie Angehörige oder Freunde in der Ukraine haben oder allgemein Angst vor einer weiteren Eskalation der gesamten Kriegssituation spüren. Unsere Beraterinnen können bei diesen Anfragen, bei denen es ja nicht direkt um geschlechtsspezifische Gewalt geht, jedoch nicht wirklich weiterhelfen und auch nicht die passende Unterstützung bieten. Wir verweisen hier immer auf inzwischen eingerichtete Internetportale, die zielführende Informationen bereitstellen. Deswegen ist es uns auch ein Anliegen, auf den Kontext des Hilfetelefons hinzuweisen. Wir wollen deutlich machen: Was sind die Leistungen, die wir bieten können, und wo sind auch die Grenzen unseres Angebots.

Das Hilfetelefon bietet Unterstützung in 17 verschiedenen Fremdsprachen an – darunter Polnisch, Russisch und Englisch. Wie genau funktioniert die Beratung in diesen Fremdsprachen? Planen Sie aufgrund der aktuellen Situation auch ein Angebot auf Ukrainisch?

Söchting: Aktuell können wir bei Bedarf in 17 verschiedenen Fremdsprachen Beratungen durchführen. Das funktioniert, da wir die Möglichkeit haben, rund um die Uhr innerhalb von einer Minute Dolmetscherinnen in diesen Sprachen zu den telefonischen Beratungen hinzuzuschalten. Wir arbeiten dazu mit einem externen Dolmetschdienst zusammen, der dieses Angebot sicherstellt. Wenn Beratung in einer Fremdsprache erforderlich ist, dann wird über eine Konferenzschaltung eine Dolmetscherin in das Telefonat eingebunden. Die Beraterin führt weiterhin das Gespräch und die Dolmetscherin hat den Auftrag, zwischen Beraterin und Ratsuchender eins-zu-eins zu übersetzen. Im Moment sind wir dabei, unser Sprachangebot um Ukrainisch zu erweitern. Sobald das möglich ist, werden wir breit und umfassend darüber informieren.

Wir planen auch, ein Faltblatt zu veröffentlichen, das in ukrainischer Sprache über unser Angebot informiert und sich direkt an ukrainische Frauen richtet. Bislang haben wir allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass die Beratung ukrainischer Frauen nicht an Sprachbarrieren scheitert. Schon jetzt bieten wir Beratung auf Russisch, Polnisch und auch Englisch an. In den Fällen, die bisher bei uns aufgetaucht sind, war eine Verständigung immer möglich. Dennoch möchten wir den ukrainischen Frauen zeitnah ermöglichen, auch in ihrer Heimatsprache über das zu sprechen, was ihnen passiert ist.

Für viele Betroffene ist das Hilfetelefon die erste Form der Unterstützung. Wie helfen Sie den Frauen konkret weiter?

Söchting: Bei uns melden sich Frauen aus ganz unterschiedlichen Situationen und mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Und so unterschiedlich wie die Anliegen der Frauen sind, so unterschiedlich verlaufen auch unsere Beratungsgespräche. Ganz wichtig ist immer, dass sich die Beraterin Zeit nimmt, dass sie gut zuhört und dass sie in jedem einzelnen Fall gemeinsam mit der Frau überlegt: Welche Unterstützung würde für mich am besten passen und welche nächsten Schritte kann ich gehen? Unsere Beraterinnen können ganz konkrete Informationen geben, beispielsweise welche Schutzmöglichkeiten ich nach dem Gewaltschutzgesetz habe und wie ich Angebote der anonymen Spurensicherung nutzen kann. Zudem können sie gemeinsam mit den Ratsuchenden mögliche Handlungsschritte entwickeln und auf Wunsch an Einrichtungen vor Ort weitervermitteln – für eine längerfristige Begleitung und Unterstützung. In ganz konkreten Notsituationen können sie darüber hinaus auch Hilfe organisieren, indem sie zum Beispiel die Polizei oder den Rettungsdienst dazuschalten. Patentlösungen und Standardantworten gibt es bei uns also nicht.

Wichtig ist, dass die Entscheidung darüber, was nach einem Kontakt zum Hilfetelefon als nächstes passiert, immer die Frau trifft. Wir veranlassen nichts über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Der gesetzliche Auftrag des Hilfetelefons ist, eine Erstberatung zu leisten. Und alles, was bei einer Erstberatung an Unterstützung möglich ist, das bieten wir auch geflüchteten Frauen an. Unabhängig von der individuellen Gewalterfahrung geht es in der Regel zunächst darum, zu beruhigen, zu klären und zu sortieren. Der nächste Schritt ist dann die individuelle Suche nach Lösungsmöglichkeiten. In Gesprächen mit geflüchteten Frauen oder Frauen mit Migrationsgeschichte ist auch die Aufklärung darüber, welche Rechte Frauen in Deutschland haben und wie das Hilfesystem aufgestellt ist, ganz wichtig. Diese Informationen ebnen den Weg zu weiterer Unterstützung. (opm/Bundesregierung)