Literarisches: Olympiade 2024. Es wird nicht nur Sieger geben

„Meine Medaille gehört ganz Deutschland.“ Ein deutscher Tennisspieler schrieb vor vier Jahren olympische Geschichte. Die ganze Nation sollte Anteil haben an seinem Glück. Alle hätten gesiegt, dürften jubeln, schrieb er. Auch der Bundespräsident äußerte Glücksgefühle und bat ihn und die anderen die Sportler in seinen Amtssitz.
Von Peter Josef Dickers

Literarisches – Was sich zu gewinnen lohne, wäre das Gewinnen. So stachelte ein amerikanischer Präsident seine Anhänger vor seiner fest eingeplanten Wiederwahl an. Der Gewinn war die Macht. Macht-Verzicht undenkbar. Sein Unfehlbarkeitsanspruch war nicht in Frage zu stellen. Dass es nicht so kam, konnte nicht rechtens sein. „Was nicht sein kann, das nicht sein darf.“ Er ließ als vermeintliches Opfer das Kapitol stürmen.
Vor den damaligen Präsidentschaftswahlen veröffentlichte ein amerikanischer Journalist ein Buch mit dem Titel „Ein Mann, der nicht verlieren kann.“ In einem Land, in dem man der Mächtigste, Größte und überhaupt jemand sein muss, in dem vor allem Erfolgserlebnisse zählen, war das ungewöhnlich. Der Mann musste das Haus, das sein Pfefferkuchenhäuschen werden sollte, einem anderen überlassen. Jetzt greift er erneut nach den Schlüsseln zu diesem Haus, das er als sein Eigentum betrachtet. Niemand sollte das zu verhindern versuchen.

Damit sind wir bei denen, die bei der jetzigen Olympiade wahrscheinlich nicht auf dem Siegertreppchen stehen werden. Sie schaffen keine neuen Höchstleistungen, kein „immer weiter, immer schneller, immer höher“ und finden sich stattdessen im Windschatten anderer wieder. „Bäumchen, Bäumchen, rüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.“ Der fromme Wunsch aus Grimms Märchen vom Aschenputtel wird Wunschtraum bleiben. Um den Sieger-Turbo bedienen zu können, müssten sie den passenden Schalter bedienen. Dennoch sind sie keine Versager oder Verlierer und nicht bedeutungslos dabei.

„Es muss im Leben mehr als alles geben.“ Maurice Sendak, ein amerikanischer Kinderbuch-Autor, schrieb eine Erzählung über die Hündin Jennie. Sie war unzufrieden, weil sie alles hatte. Sie wünschte sich etwas, das sie nicht hatte, und lief fort. Sie wäre mit einem hinteren Platz beim Marathonlauf zufrieden gewesen.
Beim olympischen Wettkampf derer, die zu den Großen und Besten gehören wollen, sollten wir jene nicht vergessen, die in der Mehrheit sind und keine Medaillen erringen. Der erwähnte Tennis-Star, der auch jetzt wieder dabei sein wird, zertrümmerte bei einem anderen Turnier seinen Tennisschläger, als ihm jemand seine Grenzen aufzeigte. Er beklagte sein Scheitern, verkannte aber, dass man im Rampenlicht leicht verglühen kann.

Freuen wir uns mit den Siegern. Freuen wir uns über ihre Erfolge. Sie wissen nicht, welche Missgeschicke auch sie einmal treffen können. Auch die „Sonstigen“, die ohne Medaillen heimfahren werden, verdienen unsere Bewunderung. In Sport- und Geschichtsbüchern werden sie unerwähnt bleiben, da sie angeblich nichts erreicht haben, an das zu erinnern sich lohnt. Man kann etwas gewinnen, ohne gesiegt zu haben. Es gibt Orte, die schön sind, obwohl kein Reisekatalog sie erwähnt.
„Siege, aber triumphiere nicht“, mahnte Marie von Ebner-Eschenbach. Märchenhafte Augenblicke sind schön, aber meistens nicht von Dauer. Gut ist es, Menschen um sich zu haben, mit denen man seine Zeit verbringen kann und bei denen man ein gern gesehener Gast ist. Dazu zählen Sieger und viele andere. (opm)

Foto: G.C./Pixabay

Foto: Privat

Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend  war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.

„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.