Erinnerung braucht historische Orte – das ehemalige jüdische Schul- und Bethaus kehrt zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück

Nach jahrelangen Bemühungen ist es nun gelungen den Erwerb der Immobilie „Rektoratstraße 10 in Viersen“ durch die NEW notariell zu beurkunden und die Nutzung durch die Jüdische Gemeinde zu ermöglichen.

Viersen – Entscheidender Impulsgeber war im Vorfeld die politische Entscheidung der Stadträte in Viersen und Mönchengladbach Anfang Juli 2024, zukünftig die Betriebskosten zur Hälfte jährlich für die zukünftige Gedenkstätte im ehemaligen jüdischen Schul- und Bethaus zu übernehmen. Seit der Enteignung in der Zeit des NS-Regimes steht somit die Immobilie nach rund 82 Jahren wieder in der Nutzung der Jüdischen Gemeinde. Dieses Ereignis wurde nun durch eine feierliche Schlüsselübergabe an die 1. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Dr. Lea Floh, gefeiert.

Zitat Frau Dr. Floh: „Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Menschen genannt werden. Wenn dieses Haus zu seinem Besitzer zurückkehrt, ist das ein Segen für alle Menschen.“ Prophet Isaja (56.7)

Auch Martin Plum, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für den Kreis Viersen und Unterstützer der ersten Stunde bei den Bemühungen um eine jüdische Gedenkstätte in Viersen, freut sich über die erfolgte Schlüsselübergabe. „Dass die langen Bemühungen um den Erwerb des ehemaligen jüdischen Schul- und Bethauses in Viersen nun von Erfolg gekrönt sind, ist ein echter Glücksfall für unsere Stadt. Die jüdische Gemeinde hält nun endlich wieder in Händen, was ihr daraus vor über 80 Jahren entrissen wurde. Gerade in Zeiten, in denen Hass und Hetze gegen Israel und jüdisches Leben in Deutschland und anderswo auf der Welt massiv zunehmen, ist das ein wichtiges Zeichen der Solidarität und gegen das Vergessen und die Leugnung des Holocausts“, so Plum.

Seit 1863 befand sich die jüdische Volksschule in der Rektoratstraße 10 in Viersen. Neben Schulräumen gehörten zum Haus noch ein Betsaal sowie eine Stallung, ein Hofraum und ein Garten. 1895 ist das Gebäude in das Eigentum der Jüdischen Spezialgemeinde Viersen und folgend 1942 in das der Stadtwerke Viersen übergegangen. Im Jahr 2000 erfolgte der Verkauf an private Erwerber.
Eine an der Außenmauer des Hauses angebrachte Gedenktafel erinnert an die jüdische Vergangenheit des Hauses.

In Würdigung seiner historischen, kulturellen und religiösen Bedeutung soll künftig hier eine Nutzung als Gedenkstätte und als Ort der aktiven und öffentlich wahrnehmbaren Erinnerungskultur mit überregionaler Strahlkraft erfolgen.
Dabei sollen digitale Medien in der zukünftigen Gedenkstättenpädagogik eine wichtige Rolle spielen. Ziel wird es sein, mit zeitgemäßen Medien auch junge Menschen abzuholen. Mit emotionalen Begegnungen, mit Gesprächen über die Vergangenheit und Gegenwart soll das Zusammenleben in der Region positiv gestaltet werden. 1700 Jahre jüdisches Leben im Rheinland sind hierfür die inspirierende Basis.
Mit dem neuartigen Ansatz, Geschichtsbewusstsein durch technische Faszination und Begeisterung zu wecken, verhilft der Jüdischen Gemeinde bereits vor der offiziellen Eröffnung der Gedenkstätte zu einer großen Aufmerksamkeit und landes- bzw. bundesweitem Interesse.

Im Oktober 2024 hat es einen persönlichen und auch emotionalen Austausch zu Familienangehörigen der Eheleute Israel und Berta Nussbaum (ehemaliger Schulleiter und Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Viersen) gegeben. Die Entscheidung der Eheleute Nussbaum, trotz schlimmster Erfahrungen in der Reichspogromnacht und danach Viersen nicht zu verlassen, zeigt die unerschütterliche Verbundenheit der Familie zu Ihrer Heimatstadt Viersen.

Mit der geplanten Gedenkstätte verbinden die heute in England lebende Nachfahren der Familie Nussbaum auch Hoffnungen, Erfolge und Herausforderungen von Generationen jüdischer Menschen in Viersen und Umgebung zum Leben zu erwecken. Sie kehren heute voller Zuversicht und Hoffnung zur Wirkungsstätte ihrer Urgroßeltern zurück und bringen uns eine wichtige Botschaft: „Seid zuversichtlich und hütet euch vor Stereotypen.“
Mit der neuen Gedenkstätte in Viersen soll ebenfalls die aktuell im Bundestag beschlossene Resolution gegen Antisemitismus in die Praxis umgesetzt werden: Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken. (opm)

Felix Heinrichs (Oberbürgermeister Mönchengladbach), Franciska Lennartz (Gedenkstätte Viersen), Dr. Martin Plum (MdB Kreis Viersen), Dr. Leah Floh (Jüdische Gemeinde Mönchengladbach-Viersen) – Foto: Privat