Niemand hatte Notiz von mir genommen, als sich das heilige Geschehen ankündigte. Ich hatte hinten im Stall geschlafen. Als Ochs wird man in die hinterste Reihe gedrängt, wenn sich wichtige Dinge ankündigen. Für das Gruppenbild wäre ich nicht fotogen genug, hieß es.
Von Peter Josef Dickers
Literarisches – Meinen eckigen, kantigen Körper wollten sie nicht auf dem Bild haben. Außerdem rieche ich nach
Schweiß. Manchmal kleben ein paar Dreckklumpen an meiner Hinterseite. Ochsen müssen demütig sein, hat man uns beigebracht. Anderen stehe es zu, sich nach vorne zu drängen, um neben dem Kind und seinen Eltern groß im Bild zu erscheinen.
Plötzlich wurde ich wach und blinzelte mit den Augen. Viel sehen konnte ich nicht, da mir die Sicht versperrt wurde von denen, die sich im Glanz des göttlichen Kindes sonnten. Ich war beeindruckt, wie viele sich für das Kind interessierten – Kinder und alte Leute, Schafhirten und geschäftige Kaufleute, Mütter mit kleinen Kindern auf den Armen. Alle zählten zu den himmlischen Heerscharen und riefen aufgeregt durcheinander. Ich war überrascht. Im Halbdunkel konnte ich erkennen, wie sie sich für das Gruppenfoto in Positur stellten.
Ich bin ein Arbeitstier und nicht zu feinen Leuten. Die standen oder knieten direkt neben dem Kind. Jeder versuchte dem Josef die Hand auf die Schulter zu legen, um zu zeigen, dass er anwesend war. Jeder wollte Mutter Maria in den Arm nehmen, als sei sie jedermanns Lieblingstante.
Hinten in der Reihe hob ich meinen Schwanz zur Begrüßung des Kindes hoch, wenn ich ehrlich bin, um Fliegen zu verjagen. Neben mir stand mein Freund, der Esel. Er hielt die Ohren gesenkt, weil auch er für einen Platz ganz vorn nicht in Frage kam. Zwar hatte er sich durch die Hintertür in die Nähe des Kindes geschlichen, aber er war wieder nach hinten geschickt worden.
Plötzlich hatte ich freie Sicht. Denn kaum war das Foto gemacht worden, waren die meisten verschwunden. Sie mussten Geschenke einpacken. Die Kinder sollten ins Bett. Einige wollten noch einkaufen, weil zufällig Gäste gekommen waren. Oma musste für zwei Wochen ins Altersheim gebracht werden, weil Sohn und Schwiegertochter in den Weihnachtsurlaub fahren wollten. Ohne es richtig zu begreifen, stand ich neben dem Kind, das sie in die Futterkiste gelegt hatten. Vorne in der ersten Reihe stand ich. Alles konnte ich sehen. Alle konnten mich sehen.
Der Fototermin war leider vorbei. Auf einem Bild mit mir hätte man sehen können, wer wirklich zum Kind und zu seinen Eltern gehörte, wer ihnen Wärme und Behaglichkeit spendete. Jesuskind mit Ochs. Dieses Bild hätte in die Zeitung gehört, vorne auf die erste Seite. Aber wer will das schon? (opm)
Aus: Peter Josef Dickers, Esel haben keine Lobby
Peter Josef Dickers wurde 1938 in Büttgen geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie sowie der Philosophie und Pädagogik in Bonn, Fribourg/Schweiz, Köln sowie Düsseldorf erhielt er 1965 die Priesterweihe. Anschließend war er in der Seelsorge und im Schuldienst tätig, bis er sich 1977 in den Laienstand rückversetzen ließ und heiratete. Nach der Laisierung war er hauptamtlich tätig an den Beruflichen Schulen in Kempen (jetzt Rhein-Maas-Kolleg) mit den Fächern Kath. Religionslehre, Pädagogik, Soziallehre, Jugendhilfe/Jugendrecht.
„Seit der Pensionierung bin ich weiterhin engagiert durch meine Schreibtätigkeit, mein Vorlese-Engagement in diversen Einrichtungen und sonstige Initiativen. In den Sommermonaten lese ich zeitweise als „Lektor“ auf Flusskreuzfahrt-Schiffen aus meinen bisher erschienenen Büchern“, so Peter Josef Dickers, der mittlerweile in Mönchengladbach beheimatet ist.