Wo die Geschichten in Nischen saßen – Pfingsten im Café Passen

Es war Pfingsten, irgendwann in den 50er Jahren – ich glaube, 1954, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Es war einer dieser typisch verregneten Feiertage, an denen die Tropfen wie kleine Perlen an den Fensterscheiben entlangrannen und die Straßen in Viersen glänzten wie poliertes Silber.
Literarisches von Magdalene Walther

Viersen – Ach, weißt du noch, Leni? Wir hatten damals unsere besten Mäntel angezogen, du mit dem cremefarbenen Filzhut und ich mit meinem blauen mit dem Samtband – weißt du noch? Der Regen konnte uns nichts anhaben. Es war Feiertag, und wir wollten raus. Wie immer nach der Kirche schlenderten wir die Hauptstraße entlang. Und wie so oft endeten wir im Café Passen. Das war ja damals der Treffpunkt in Viersen – du konntest sicher sein, dass du jemanden Bekanntes trafst.

Foto: Privatarchiv Olaf Josten/Stadtarchiv Viersen

Schon beim Eintreten umfing uns dieser unverwechselbare Duft – ein bisschen wie Vanille, warme Schokolade und frisch gebackener Kuchen. Ich glaube, der Geruch hat sich für immer in meine Erinnerung eingebrannt. „Bitte mit Sahne“, sagtest du wie jedes Mal, kaum dass wir an unserem Platz in der kleinen Nische saßen. Deine Stimme war dabei so bestimmt, als gäbe es gar keine Alternative. Ich musste lachen. Und natürlich nahm ich auch Sahne. Wir bestellten den Erdbeerkuchen – es war ja Saison, und das Café Passen konnte Erdbeerkuchen wie kein anderes. Der Boden war mürbe, die Früchte süß und leicht säuerlich, und die Sahne – ach, sie war wie eine Wolke.

Franz Passen hatte am 9. Mai 1903 die Conditorei von Herrn Sieben übernommen. Die Bedienung war freundlich, die Tische mit frischen Blumen geschmückt, und die Polster in den Nischen weich und warm. Die Kellnerin kannte uns schon. „Wie immer, die Damen?“, hatte sie gefragt. Und wir hatten genickt.

Weißt du noch, wie wir dort saßen, während draußen der Regen sanft auf die Markise trommelte, und wir über alles Mögliche plauderten? Über den neuen Lehrer an der Realschule, über Erna, die jetzt beim Amt arbeitete, und darüber, ob der neue Herr aus der Metzgerei wohl wirklich ein Auge auf dich geworfen hatte. In diesem Moment war die Welt ganz klein und vollkommen. Ein Stück Kuchen, ein Tässchen Kaffee, gute Gespräche und das Gefühl, genau da zu sein, wo man hingehört. Das Café Passen war mehr als nur eine Konditorei – es war ein Stück Zuhause.

Heute steht da das Gambrinus, das mittlerweile auch die Türen geschlossen hat, und oft, wenn ich daran vorbeigehe, schau ich noch einmal zur Hausnummer 79. Ich sehe dann uns beide dort sitzen, jung, lebensfroh, ein wenig nass vom Regen, aber warm von innen. Und ich höre dich sagen, mit diesem schelmischen Lächeln:

„Bitte mit Sahne – hmm, lecker.“ (mw)

Foto: Privatarchiv Olaf Josten/Stadtarchiv Viersen